Konzept zur Förderung besonderer Begabungen

1. Terminologische Abgrenzung

Begabung

Ganz allgemein wird Begabung als eine angeborene Disposition zu Leistungen (Leistungsdisposition) angesehen, die maßgeblich von den Umwelteinflüssen abhängt. Diese Einflüsse können die Entfaltung der Anlage fördern oder auch hemmen.

Besondere Begabung und Hochbegabung

Weder besondere Begabung noch Hochbegabung können derzeit wissenschaftlich objektiv bestimmt werden, da diese in den meisten Ländern unterschiedlich normiert sind. Weiterhin ist die dynamische Wechselwirkung zwischen Begabung – Persönlichkeit – Umwelt – Förderung, welche überhaupt erst zur Entfaltung besonderer Begabung und Hochbegabung führt, ungeklärt.

Im wissenschaftlichen Minimalkonsens wird gesprochen
– von besonderer Begabung, wenn Kinder in einem oder mehreren Bereichen ihrer Entwicklung den Gleichaltrigen deutlich voraus sind.
– von Hochbegabung, wenn Kinder in einem oder mehreren Bereichen ihrer Entwicklung den Gleichaltrigen um ein Mehrfaches deutlich voraus sind.

Besonders begabte und hochbegabte Kinder haben eine Disposition, auf vielen Gebieten außergewöhnliche, oft überraschende Leistungen zu zeigen. Dabei handelt es sich meistens nicht um eine einseitige Begabung, sondern um eine Kombination aus verschiedenen Begabungen.

Bei allen erwähnten Begabungsformen sind Überschneidungen festzustellen. Jedoch sind Spezialbegabungen auf inhaltlich begrenzte Gebiete oft nicht isoliert zu sehen, sondern gehen in der Regel  auch mit einer durchschnittlichen bis überdurchschnittlichen Intelligenz einher.

 

2. Erkennung

Während man z. B. künstlerisch-musikalisch hochbegabte Kinder relativ schnell und leicht erkennt (sie dichten, malen, musizieren besser als Gleichaltrige) oder auch psychomotorische Talente eher auffindet (diese Kinder tanzen schön oder fallen bei Sportübungen positiv auf), bleiben viele intellektuell hochbegabte Kinder unerkannt, da sich die Begabung nicht immer auch in entsprechend guten schulischen Leistungen ausdrückt. Diesen Schülerinnen und Schülern gelingt es nicht, ihre Begabungen zu nutzen und in gute Noten umzusetzen (underachievers).

Aufgrund empirischer Längsschnittstudien wurde die Einfaktortheorie (Gleichsetzung von Hochbegabung mit Intelligenz) weitgehend aufgegeben. Heutzutage geht man von einem Mehr-Faktoren-Modell der Hochbegabung aus.

Hochbegabung kann nur unter bestimmten Umständen zu Höchstleistungen führen, d. h. Hochbegabung führt nicht automatisch zu außerordentlichen Leistungen. Ohne Unterstützung kommt sie nur selten zur Entfaltung. So ist es die Aufgabe der Umwelt (Familie, Kindergarten, Schule, weiteres Umfeld) Bedingungen zu schaffen, in denen besonders begabte Kinder sich ihrer Begabung entsprechend entwickeln können.

Der Begriff der Hochbegabung ist nicht alleine auf die Intelligenz zu beziehen, sondern Hochbegabung kann in den verschiedenen Intelligenzen mit unterschiedlichen Intensitäten auftreten (H. Gardner 2002), denn

  • es gibt nicht eine, sondern viele verschiedene unabhängige Intelligenzen.
  • keine Intelligenz ist direkt messbar.
  • Intelligenzen sind erfolgreich förderbar.

Gardner teilt in folgende Intelligenzen ein:

  • sprachliche Intelligenz
    (Dichter, Journalisten, Werber, Rechtsanwälte…)
  • logisch mathematische Intelligenz
    (Mathematiker, Computerfachleute, Philosophen…)
  • musikalische Intelligenz
    (Dichter, Journalisten, Werber, Rechtsanwälte…)
  • räumliche Intelligenz
    (Schachspieler, Bildhauer, Architekten…)
  • körperlich-kinästhetische Intelligenz
    (Sportler, Schauspieler, Tänzer, Chirurg…)
  • interpersonale Intelligenz
    (Fähigkeit, andere Menschen zu verstehen und ihnen empathisch zu begegnen: Therapeuten, Lehrer, Verkäufer…)
  • intrapersonale Intelligenz
    (Fähigkeit, eigene Gefühle, Grenzen und Möglichkeiten gut zu kennen, z. B. Schauspieler, Schriftsteller, Künstler…)
  • naturalistische Intelligenz
    (Naturkenntnis)

Hochbegabung kann sich nur dann entwickeln und realisieren, wenn das hochbegabte Kind eine unterstützende Umwelt hat und es fördernde, nicht kognitive Persönlichkeitsmerkmale  (wie Leistungsmotivation, Anstrengungsbereitschaft, Stressbewältigungskompetenz und andere) besitzt.

Es gibt nicht die Hochbegabung und das hochbegabte Kind an sich, sondern jeder Begabte ist einzigartig. Somit gibt es auch nicht den Königsweg zur Förderung von begabten Schülerinnen und Schülern.

Es gilt, den für jeden einzelnen Begabten adäquaten Förderweg zu finden unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsentwicklung, so wie auch bei schwach begabten Kindern in der Pädagogik schon lange der Weg der Differenzierung und Individualisierung proklamiert wird.

Bei jeder Definition der Hochbegabung ist zu beachten, dass die Grenzen zwischen guter, überdurchschnittlicher Begabung, Hoch- und Höchstbegabung willkürlich standardisierte Größen sind. Nach wie vor wird ein IQ von 130 als Grenzwert zur intellektuellen Hochbegabung angesetzt.

 

3. Begabtenförderung

Die Grundschule Jürgenohl favorisiert die integrative Begabungsförderung für alle Kinder.

Bei der Förderung der Kinder mit besonderen Begabungen werden vorwiegend auf der Klassenebene geeignete Lösungen gesucht. Begabungsfördernder Unterricht dient allen, denn Gleichaltrige sind nicht zwingend auf dem gleichen Entwicklungsstand.

Dabei geht es uns um Begabungsförderung als Prinzip schulischen Lernens

Das sichere Erkennen von hochbegabten Kindern ist im Grundschulalter eine sehr schwierige Aufgabe, da besonders bei Kindern aus den unteren Schulklassen Begabungen, Fleiß, extrem hohe Motivation und „kognitive Entwicklungsvorsprünge“ vorerst nicht genau unterschieden werden können.

3.1 Merkmale für Hochbegabung

Merkmale der Hochbegabung sind sehr differenziert und vielschichtig, so dass ein Erkennen für die Lehrkraft recht schwierig ist. Besonders begabte Kinder glänzen nicht zwingend durch gute Leistungen.

Begabungen sind nicht einfach Tatsachen. Für ihre Entfaltung braucht es den inneren Antrieb, Anregungen von außen sowie Bestätigungen aus der sozialen Umwelt. Überdurchschnittliche Fähigkeiten sind nicht allein auf Intelligenz zurückzuführen.

3.2 Allgemeine Möglichkeiten der Förderung begabter/hochbegabter Schülerinnen und Schüler

Begabungsförderung eines Kindes ist von Anfang der Schulzeit an eine Aufgabe der Schule. Hohe Begabung bedarf möglichst frühzeitiger Erkennung und Förderung.

Aufgabe der Grundschule ist es, die Kinder dort abzuholen, wo sie stehen. Diese Forderung muss auch für begabte/ hochbegabte Kinder gelten.

3.2.1 Differenzierung im Unterricht
– Binnendifferenzierung
– Individualisierung

3.2.2 Akzeleration
– Vorzeitige Einschulung in die Grundschule
– Jahrgangsgemischte Eingangsklassen
– Überspringen einer Jahrgangsstufe
– Teilnahme am Unterricht einzelner Fächer in einer höheren Klassenstufe

3.2.3 Enrichment
– Offene Unterrichtsformen und Methodenvielfalt ( Freiarbeit, Tages, Wochenplanarbeit, Projektarbeit (fächerverbindend und fächerübergreifend/ auch jahrgangsgemischt),
Werkstattarbeit mit individueller Themenwahl)
– Klassenübergreifende Angebote z. B. Projekttage
– Zusatzangebote z. B. Arbeitsgemeinschaften, Stütz- und Fördermaßnahmen, Teilnahme an Wettbewerben, Feriencamps, spezielle Freizeitgestaltung

3.2.4 Grouping
Begabungsförderung besteht in der Regel aus der Kombination von Akzeleration und Enrichment. Primär erfolgt die Begabungsförderung in der Grundschule durch besondere Unterrichtsmaßnahmen und durch erweiterte Unterrichtsangebote. Dabei soll die Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit des Kindes nicht aus dem Blick genommen werden. Es geht nicht nur um kognitive Förderung. Die Förderung ist auch nicht allein Aufgabe der Schule. Sie hat dort ihre Grenzen, wo sie über den Schulischen Auftrag hinausgeht.

Die Unterrichtsorganisation ist durch innere Differenzierung und Individualisierung, offene Unterrichtsformen wie Lernen an Stationen, Tagesplan, Wochenplan, Werkstattunterricht geprägt. Auf diese Weise wird man nicht nur schwächeren, sondern auch den besonders begabten Schülern gerecht.

 

4. Die Förderung begabter Kinder

Um möglichst frühzeitig hochbegabten Kindern gerecht zu werden, ist ein vertrauensvoller Austausch zwischen den Kindergärten und der Schule notwendig, um zu einer besseren Beurteilung des Entwicklungsstandes eines Kindes zu kommen und die Beratung der Eltern zu vertiefen. So wird durch ein Schreiben für die Eltern, der Kindergarten von seiner Schweigepflicht gegenüber der Schule entbunden und die Kooperation erleichtert. Ziel ist es den Austausch von Informationen über die neuen Schulanfänger und Kinder, die vorzeitig eingeschult werden sollen, zu intensivieren.

Beispiele für Maßnahmen der inneren Differenzierung:

  • Jedes Kind kann innerhalb der Klassengemeinschaft – zumindest zeitweise – individuell gefördert werden. Art und Schwierigkeitsgrad der Aufgabe können dem kindlichen Leistungsvermögen angepasst werden.
  • Es werden Zusatzarbeiten mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad bei gleichzeitigem Wegfall mechanischer Übungen angeboten.
  • Betreuung von Langzeitbeobachtungen und – Tätigkeiten ( z.B. Wetterbeobachtungen, Vögelbeobachtungen, Blumenpflege, Versuche, …..)
  • Übernahme von Führungsaufgaben beim Erklären oder Betreuen bestimmter Themen ( Lernspiele, Versuche, Stationen, Experte bei Werkstattthemen….).
  • Kreatives Arbeiten mit Sprache (z. B. eigene Gedichte/ Geschichten).
  • Niederschreiben von Erzählungen / Berichten für die örtliche Presse, die Klassenzeitung.
  • Erfinden von Spielen.
  • Leistungsbewertung bei kreativen Arbeiten ggf. zurückstellen, Schüler zu Selbstbewertung führen.
  • Entdecken und Einbringen von Zusatzinformationen (auch Internetrecherche)
  • Selbstdefinierte Zielsetzungen (z.B. Referate zu Interessengebieten, schwierigere, selbstentworfene Hausaufgaben).
  • Bewertung der eigenen Arbeitsergebnisse (Anlegen von Portfolios).

Die vorzeitige Einschulung, das Überspringen einer Jahrgangsstufe sowie die Teilnahme am Unterricht einzelner Fächer in der nächsthöheren Jahrgangsstufe ist bereits gängige Praxis und wurde auch erfolgreich praktiziert.

 

5. Zuständigkeiten, Verantwortung

Schule und Elternhaus tragen die Verantwortung für die Entwicklung und Förderung des Kindes gemeinsam.

Erziehungsberechtigte
– beobachten das Kind zu Hause, nehmen Interesse wahr.
– führen Gespräche mit dem Klassenlehrer/-in und den an der Klasse unterrichtenden Lehrern/innen.
– stellen bei strukturellen Maßnahmen (Vorzeitige Einschulung/ Überspringen einer Klassenstufe) oder bei
Teilnahme an speziellen Förderangeboten einen schriftlichen Antrag bei der Schulleitung.
– fördern das Kind ihren Fähigkeiten entsprechend.
– beteiligen sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten

Erzieher/-in (bei vorzeitiger Einschulung) / Lehrer/ -in
– nehmen Kinder mit besonderen Begabungen wahr.
– führen notwendige Gespräche mit Eltern und Kind (Wie geht es dem Kind? Orientierung über
mögliche Fördermaßnahmen, Beratung der Erziehungsberechtigten).
– organisieren die vorzeitige Einschulung bzw. Fördermaßnahmen innerhalb des Unterrichts und verfol-
gen die Weiterentwicklung des Kindes.
– ziehen den zuständigen Beratungslehrer, die psychologische Beratungsstelle hinzu.

Schüler/innen
– arbeiten versäumten Unterrichtsstoff selbstständig nach, wenn sie eine Klassenstufe überspringen oder
außerhalb des Klassenrahmens (während der Unterrichtszeit) Förderangebote besuchen.

6. Umsetzung
Zur Sicherstellung von Erkennungs- Beratungs- und Arbeitskompetenzen ist es erforderlich, dass alle Lehrkräfte in folgenden Bereichen übereinstimmendes Basiswissen erlangen:

  • unterschiedliche Modelle der Hochbegabung kennen, sie erklären und vergleichen können,
  • häufige Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale hochbegabter Kinder kennen,
  • erkennen, wieso eine frühzeitige Identifikation von großer Bedeutung ist,
  • informelle und standardisierte Verfahren kennen und unterscheiden lernen,
  • wissen, dass Diagnostik nie nur Selbstzweck sein darf, sondern immer mit entsprechender Förderung gekoppelt sein muss,
  • wissen, dass bei jüngeren Schulkindern Begabungen, Fleiß und extrem hohe Motivation nicht genau unterschieden werden können,
  • weiterführende Abklärungs- und Beratungsstellen kennen lernen – wissen, wo ihnen Hilfe bei Schwierigkeiten/ Unsicherheiten geboten wird,
  • lernen, differenziert und wertfrei zu beurteilen; erkennen, dass für das Erfassen von Begabungen und das differenzierende Beurteilen eine gute Zusammenarbeit im Schulteam hilfreich sein kann,
  • verschiedene Maßnahmen der Begabungsförderung kennen lernen
  • Eltern auf Begabungen ihres Kindes aufmerksam machen können,
  • in konstruktiven Gesprächen mit den Eltern gemeinsam nach Wegen und Lösungen für deren Kind suchen